Am Anfang war das Wort: Drei Verbände – Eine Sprache

VRdS, DPRG und VDS luden am 24. November 2011 zur Podiumsdiskussion in die Lutherstadt Wittenberg

Martin Luther, Denkmal vor dem Rathaus in Wittenberg

Wohlbedacht wählten der Verband der Redenschreiber Deutsche Sprache (VRdS), die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) und der Verein Deutsche Sprache (VDS) die ersten Worte aus dem Johannesevangelium als Überschrift für ihre Podiumsdiskussion am 24. November in der Lutherstadt Wittenberg. „Am Anfang war das Wort“ ist seit Ende Oktober das Motto für die Lutherdekade und begleitet die Aktivitäten bis zum Reformationsjubiläum 2017. In der Tradition Luthers sollte die Veranstaltung erörtern, welche Bedeutung die Sprache für unseren Alltag hat, welche Rolle sie in der Kommunikation einnimmt und wie wir mit ihr umgehen.

Dagmar Röse, Leiterin des MDR-Studios in Dessau-Roßlau, führte Referenten und Publikum in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e.V. durch die zweistündige Podiumsdiskussion. Die drei Vertreter der Verbände legten ihre Standpunkte aus drei verschiedenen, aber miteinander doch verflochtenen Blickwinkeln dar: rhetorisch (VRdS), kommunikativ (DPRG) und gesellschaftlich (VDS). „Sprache hält unsere Mitwelt zusammen. Durch sie verständigen wir uns und in ihr leben wir unsere Identität als Gemeinschaft, Organisation oder Person aus. In unsicheren Zeiten, wie der unseren, beruht das Gemeinwesen auf Verständigung und Vertrauen. Sprache kann dieses Vertrauen stiften oder zerstören, festigen oder schwächen“, erläuterte Dr. Vazrik Bazil, Präsident des VRdS.

Dabei waren sich die drei Referenten einig, dass die Sprache im jeweiligen kulturellen Umfeld identitätsstiftend ist. Umso bedenklicher seien aktuelle sprachliche und sprachpolitische Entwicklungen. Gute Kenntnisse der eigenen Muttersprache sind die besten Grundlagen für das Erlernen einer Fremdsprache. Die Fehlentwicklungen beginnen mit der frühkindlichen zweisprachigen Erziehung in Kindergärten, finden in der leichtfertigen Abschaffung des international anerkannten Diplomstudienganges ihre Fortsetzung und gipfeln in der sprachlichen Unterwürfigkeit gegenüber der vermeintlichen Weltsprache Englisch. „Wir haben eine Sprache, die ist so wunderschön, die hat so fantastische Möglichkeiten, dass uns die gebildeten Engländer, Franzosen und Italiener darum beneiden. Und was machen wir? Wir werfen sie bedenkenlos in den Müll!“, brachte Oliver Baer, Mitglied im Bundesvorstand des VDS, die vertrackte Situation auf den Punkt. „Dabei wird völlig missachtet, dass die Muttersprache nicht nur ein Kulturgut ist, sondern auch ein für unseren Wohlstand wichtiger Produktionsfaktor“, führte Baer weiter aus. Der durch die Verleugnung der eigenen Sprache entstandene wirtschaftliche Schaden sei immens und hätte mit dazu geführt, dass Deutschland seine führende wirtschaftliche Spitzenposition eingebüßt hat.

Manfred Piwinger, Mitglied im Hauptausschuss der DPRG, erläuterte mit Beispielen aus Geschäftsberichten die missverständliche Verwendung von Fremdwörtern. Insbesondere auf dem Kapitalmarkt hat sich eine Fachsprache entwickelt, die ausschließlich von Experten verstanden würde. Andererseits enthalten die Nachrichten nur noch schlagwortartige „Plastikwörter“ oder Abkürzungen, die nicht mehr erläutert werden. „Die Sprach- und Verständigungsprobleme rühren auch daher, dass die Dinge tatsächlich viel komplizierter und zusammenhängender geworden sind, als sie in der Geschichte je gewesen seien. Den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft ist aber die Fähigkeit abhandengekommen, die Dinge einfach auszudrücken“, konstatierte Piwinger. Bazil beleuchtete noch zwei weitere Faktoren: Zum Einen ist unsere Gesellschaft stark am wirtschaftlichen Nutzen ausgerichtet. Darum ist es nicht verwunderlich, dass im Einfluss der Globalisierung das Englische überhand gewinnt. Andererseits ist es in der Kommunikation üblich, mit Dunkelheit und Verworrenheit Vieldeutigkeit herzustellen.

Licht ins Dunkel zu bringen und die Dinge zu entwirren ist eine wesentliche Aufgabe der Medien. Diesen Auftrag können Journalisten aufgrund der ebenso uneingeschränkt wirtschaftlichen Ausrichtung der Medienunternehmen und dem damit verbundenem Personalabbau nur eingeschränkt erfüllen. Qualitätsverluste sind so unvermeidbar. „Ob Politiker, Wirtschaftsboss, Pressesprecher, Redenschreiber, Journalist oder Lehrer, alle müssen die Sprache nutzen, um den Alltag verständlich und bildhaft zu erklären. Natürlich ist Sprache Ausdruck der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung und sie unterliegt Veränderungen. Die kommen jedoch nicht von alleine, sondern durch die, die Sprache gebrauchen", fasste Baer zusammen.

In der Lokalausgabe Lutherstadt Wittenberg der Mitteldeutschen Zeitung wurde am 26. November 2011 unter der Überschrift »Deutsch in Gefahr« ausführlich berichtet. Das Regionalfernsehen RBW sendete am 2. Dezember 2011 einen Bericht über die Podiumsdiskussion.

Text und Fotos: Jörg Bönisch