Was halten Politiker von Bürgern? Wie glaubhaft sind ihre Aussagen?

Eine Betrachtung über Sprache in der Politik und Politik in der Sprache • Eine Veranstaltung aus der Reihe »Kultur und Zeitgeschehen«

Prof. Günter Schenk, Dr. Karin Scherf, Dr. Vazrik Bazil und Dr. Bernd Wiegand

Am 20. März 2012 wurden auf Einladung der Regionalgruppe Sachsen-Anhalt des Vereins Deutsche Sprache (VDS) im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Kultur und Zeitgeschehen« die Fragen erörtert, welche Rolle die Sprache in der Politik spielt und welche Wirkungen die Politik auf die Sprache ausübt. Dr. Vazrik Bazil, Präsident des Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS), Dr. Bernd Wiegand, Beigeordneter für Sicherheit, Gesundheit und Sport der Stadt Halle (Saale) und Mitglied im VDS, sowie Prof. Dr. Günter Schenk i.R., Philosoph und wissenschaftlicher Leiter der Hallischen Philosophischen Bibliothek, diskutierten mit 70 Gästen in Halle (Saale) über Sprache als Voraussetzung für Demokratie, kulturelle Kommunikation und Integration sowie über ihren Gebrauch in Politik und Gesellschaft. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Karin Scherf, Redakteurin bei MDR 1 Radio Sachsen-Anhalt.

Das Datum für die Diskussionsrunde legten die Veranstalter nicht zufällig auf den 20. März: Ein Jahr zuvor waren die Bürger in Sachsen-Anhalt zur Wahl des 6. Landtages aufgerufen. Im Vorfeld wurden an die 263 Listen- und Direktkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linken, FDP, Freien Wähler und SPD Wahlprüfsteine mit acht sprachpolitischen Fragestellungen übersandt. Mit einer Rücklaufquote von 15 Prozent der ausgefüllten Fragebögen ergibt sich ein bedenkliches Bild (Presse-Information 02/2011). „Wir sind der Überzeugung, dass es an einer ernsthaften gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit sprachlichen Fragen hapert. Das mangelnde Interesse der Landespolitiker, Abgeordneten und Journalisten an sprachpolitischen Themen bestärkt uns in dieser Wahrnehmung“, konstatiert Arne-Grit Gerold, Leiterin der Landesregionalgruppe Sachsen-Anhalt.

Welche Wirkung die Sprache aus dem Munde von Spitzenpolitikern auf ihre Zuhörer hat, brachte eine im November 2011 vom Seminar Medienwissenschaft der Universität Koblenz und dem VRdS veröffentlichte Studie ans Licht. Das Ergebnis ist ernüchternd, denn das Bürgerbild der Politiker ist diffus bis widersprüchlich. Der Klang an sich wohl fein formulierter Politikersätze stellt sich bei genauem Hinhören nicht immer als schmeichelhaft heraus. „Die Rede ist verräterisch, sie offenbart oft mehr als das, was der Redner ausdrücklich sagen möchte“, erläuterte Bazil. So würden Bürger in Politiker-Reden oft wie unmündige Kinder dargestellt, die genauer Anleitung bedürften und die man „abholen“ und „mitnehmen“ müsse. Politiker schlüpften in die Rolle von Eltern, die glauben zu wissen, wo es lang geht.

Jörg Bönisch erläuterte die Standpunkte des Vereins Deutsche Sprache

„Das Wesen der Politik soll mit der Sprache erfasst werden. Dabei ist es Zweck der politischen Redeweise, Zustimmung oder Ablehnung zu erreichen. Das heißt, das Ziel des Politikers in diesem Sinne ist nicht primär die Gewinnung wahrer Aussagen, sondern von nützlichen“, führte Schenk aus. Dafür bedienten sich die Redner der umfangreichen Möglichkeiten der Metaphorik, der bildhaften Sprache, die nichts bedeute, aber etwas meine. Die meisten Besucher der Podiumsdiskussion fühlten sich mit den von Bazil und Schenk aufgeführten Argumenten in ihren persönlichen Erfahrungen bestätigt. „Dennoch ist die Wahrhaftigkeit und Verständlichkeit der Aussagen von Politikern demokratisches Grundrecht und entscheidend für die Glaubwürdigkeit bei den Bürgern“, mahnte Jörg Bönisch, stellvertretender Leiter der Regionalgruppe des VDS. Dazu passt die Aussage von Altbundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler beim 19. Wittenberger Gespräch am 14. März dieses Jahres, bei dem es um den Verlust an Vertrauen in die Führungseliten der Gesellschaft ging. Dort hob Köhler die Bedeutung der Kommunikation, Bildung und Sprache deutlich hervor: Auf Klarheit und Wahrhaftigkeit sollen wir achten. Und den Eliten auf die Finger sehen. Wenn dieses Vertrauen enttäuscht wird, sollen wir es persönlich nehmen, uns empören und Konsequenzen einfordern.

Wiegand erläuterte als Dezernent in der halleschen Stadtverwaltung anschaulich seinen Einsatz für eine freundliche sowie verständliche, aber dennoch verbindliche Verwaltungssprache, wie sie auch der VDS empfiehlt: „Wer das Spannungsfeld zwischen bürgernaher Ausdrucksweise und juristischer Exaktheit überwinden will, muss Verantwortung dafür übernehmen. Nur so können die Zielsetzungen der Verwaltung mit sprachlichen Mitteln verständlich gemacht werden.“ Hier ist Merseburg vielen Städten ein Stück voraus. Seit der VDS-Bundesdelegiertenversammlung im vergangenen Jahr ist die Saalestadt VDS-Mitglied, um so ein Zeichen für eine für die Bürger klare Verwaltungssprache zu setzen. „Öffentliche Verwaltungen müssen sich – nicht nur sprachlich – zu modernen Dienstleistungsunternehmen entwickeln, die für die Bürger da sind“, ist sich Wiegand sicher.

Text: Jörg Bönisch, Fotos: Jörg Bönisch (6), Wolfgang Müller-Bönisch (2)